So übertitelt Wilhelm Heitmeyer, der ehemalige Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, seinen Artikel in der Online-Ausgabe von der Freitag vom 13.10.2016, in dem er die sukzessive Entwicklung zu erhöhter Gewaltbereitschaft in Teilen der Gesellschaft analysiert: Das Destruktive in der Normalität
Die allerjüngste Vergangenheit Deutschlands war an geografisch weit auseinanderliegenden Orten mit unterschiedlichen Gewaltausbrüchen konfrontiert:
- Brandanschlag auf Dresdner Moschee und Familie des Imam
- Gewalt gegen den Bürgermeister eines kleinen Ortes
- Drohungen gegen eine Lehrerin für Islamunterricht
Für den Konflikt- und Gewaltforscher sind diese Angriffe und Bedrohungen, die sich gegen sozial schwache Gruppen oder gegen jene, die sich für sie einsetzen, richten, die vorhersehbaren Folgen des jahrzehntelangen Eskalationsprozesses, mit dem Ziel, die Eliten in Politik, Journalismus und Zivilgesellschaft aufzustören. Heitmeyer spricht von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Er beschreibt 2 Arten von Mustern der Eskalation.
1. Prozess der Eskalation
Der Eskalationsprozess verläuft in 4 Stufen:
1.1. Provokationsgewinne, auf die die Medien reagieren.
Diese Reaktion bedeutet zusätzliche Resonanz für die Gewaltbereiten. Medien machen dabei mit, weil die Steigerung von Resonanz, das Aufschaukeln von Reaktion und Gegenreaktion deren eigener Verkaufslogik entspricht. Populistische Stimmungsmacher bieten daher sorgfältig abgewogen nicht ‚mehr vom Gleichen‘ – darauf würden Medien nicht reagieren – sondern steigern die sprachliche Aggression.
1.2. Raumgewinne auf öffentlichen Plätzen.
Auf derartige Demonstrationen von Macht gegenüber anderen Gruppen reagiert nach Heitmeyers Ansicht die Polizei unzureichend. Die Polizei lässt sich ihr Machtmonopol entreißen. Dies werten die gewaltbereiten Akteurinnen und Akteure als Erfolg.
1.3. Nach den Raumgewinnen folgen Räumungsgewinne.
Gewaltbereite verdrängen andere Gruppen – zum Beispiel Jugendliche aus Clubs, Flüchtlinge aus den zugewiesenen Unterkünften.
1.4. Die für die demokratische Kultur gefährlichste Stufe ist jene der Normalisierungsgewinne.
Was vor einigen Jahren noch undenkbar war, gehört mittlerweile zur Normalität. Auch manche PolitikerInnen äußern sich in einer fremdenfeindlichen Weise, wie dies bis vor Kurzem tabu war. Daraus, so Heitmeyer, entsteht das Destruktive in der Normalität. Denn was als normal gilt, wird nicht mehr problematisiert.
2. Zwiebelmuster der Gewaltbereitschaft
Die äußere Schale der gewaltbereiten Zwiebel stellen Teile der breiten Bevölkerung, die gruppenbezogen menschenfeindlich eingestellt sind. Sie liefern den radikalisierten Milieus die Legitimation. Befeuert werden diese von VertreterInnen der intellektuellen und politischen Eliten, die mit hochbrisanten Begriffen fahrlässig umgehen.
Die inneren, kleineren Schalen unterteilt die Konflikt- und Gewaltforschung in 3 Schichten:
- rechtspopulistisches Milieu: hantiert gewaltfrei aber mit grenzwertigen Aussagen und stellt gewalterzeugende Begriffe bei
- systemablehnendes Milieu: hantiert zum Teil bereits mit Gewalt
- neonazistische Unterstützungsnetzwerke: agieren mit hoher Gewaltbereitschaft und sogar terroristischen Zellen
Die Übergänge sind fließend. Laut Heitmeyer hat sich zudem in den letzten Jahren mitten in der Gesellschaft eine ‚rohe Bürgerlichkeit‘ gebildet.
4 zentrale Themen der schleichenden Brutalisierung
Für die Bielefelder Gewalt- und Konfliktforscher hat sich die Zunahme der Brutalisierung in der Gesellschaft lange angekündigt. Zu Grunde liegen 4 zentrale Themen:
- die Angst vor sozialer Desintegration in einem autoritären kapitalistischen System
- die Angst vor kultureller Überfremdung
- die politische Entfremdung, wahrgenommen als Demokratieentfremdung
- die De-Nationalisierung von Politik (‚Brüssel‘)
Gewaltfördernder Katalysator war die Fluchtbewegung der Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa.
Quellen und links
der Freitag: Online-Ausgabe vom 13.10.2016
Vom Umgang mit Populismus auf 1-sicht
Über das demagogische Panorama von Populisten auf 1-sicht
Über Wilhelm Heitmeyer auf wikipedia
Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung